26. – 28. November 2018
Ein Besuch im Europäischen Parlament





26. – 28. November 2018
Ein Besuch im Europäischen Parlament
Ortsbegehung vom 22. – 26. Oktober 2018
Ein Bilder-Erlebnisbericht
Es ist Samstag, der 2.6.18. Ich bin auf einer Veranstaltung, die den Namen “The Art of Regionalism” trägt und im “De Balie, Salon” stattfindet. Ca. 15 weitere Menschen sitzen mit mir im Publikum. Adith Hunkar, eine aufgeweckt und sehr emanzipiert wirkende Dame, die sich selbst als “freestyle journalist” bezeichnet, moderiert das 4-köpfige Panel. Es wird Hoffnung darauf gemacht, dass wir mit dieser Veranstaltung der Frage näherkommen, ob ein Europa der Regionen zu einer Erfüllung unserer Europäischen Visionen führen kann. Darüber wurde letzten Endes jedoch eigentlich gar nicht gesprochen.
Zunächst wurde das Publikum mit einem friesländischen “Troubadour” namens “Willie Darktrousers” beruhigt:
Das Stück war lang und langgezogen, jedoch gut gewählt, da mit regionalem Charme (und seinem im Hintergrund vor sich hin grinsenden Landes-Bruder nach zu urteilen wohl auch humorvoll).
Teilnehmer des Panels sind: Albert Heta, ein politischer Konzept-/Interventionskünstler, der u.a. den Kosovo auf der Biennale in Venedig 2005 präsentierte; Jackie Wylie, welche das “National Theatre of Scotland” leitet und Sjoerd Bootsma, aktives Mitglied der Organisation “CitizensLab“, welches alternative Modelle Europäischen Zusammenlebens entwickelt und testet.
Heta spricht über den Kosovo, dessen Zugehörigkeiten seit über 100 Jahren und Unabhängigkeit von Serbien 2008 bis heute umstritten sind. Nach Hetas Aussagen vergäße der Kosovo seine Identität durch die jahrzentelange Beschäftigung mit umstrittenen Zugehörigkeiten, weswegen die regionale Kunst von Zerrissenheit und der Suche nach Identität erzähle, aber auch die jüngst erworbene Unabhängigkeit und somit Freiheit feiere. Als Beispiel für Letzteres zeigt er ein Musikvideo des Kosovo-Popstars Rita Ora.
Dieser Umgang mit Identität im Kosovo stehe nach Wylie im Gegensatz zur schottischen. Schottland reagiere auf die Zugehörigkeitsfrage mit einem festen Traditionsbewusstsein bis hin zu Patriotismus. Dessen regionale Kunst kreise folglich gern um sich selbst. Beiden Ausprägungen sei jedoch gemeinsam, dass Kunst insbesondere als “Heiler” fungiere.
Der sympathische Friesländer zeigt einen durch den CitizenLab entstandenen Werbefilm für seine Region, welcher die Menschen vor allem durch Kulturgüter zu begeistern versucht:
Um 17:30 sitze ich im “Duvel”, einer Kneipe am Wasser, trinke ein frisch Gezapftes und fühle mich erschlagen – es wird ja doch immer sehr viel geredet und ich frage mich, wohin das führt: Ein kleiner Kreis engagierter Menschen besucht diese Veranstaltungen und redet über Europa und Kunst. Mich hat das Reden darüber jedenfalls nicht im Herzen getroffen – eher im Kopf und der ist jetzt unsäglich müde. Und kalt wird mir auch.
Meine Gedanken schweifen weiter: Ich beginne über mein Aussehen und das Älterwerden nachzugrübeln. Ich fühle mich egoistisch und wenig politisch engagiert und versuche dies zu ändern, indem ich an politisch engagierte Menschen denke, die mir etwas bedeuten. Ich muss noch ein Bier bestellen.
Zu um 20 Uhr mache ich mich mit einem durch Verschiedenes hervorgebrachten Motivationsschub zur Veranstaltung “Europa – Wir schaffen das!” auf. Ja, die Veranstaltung ist angesiedelt im “Het Concertgebouw”, einem festlichen Konzertsaal, gut angezogene Menschen unterhalten sich in angenehmer Intonation, es herrscht die Atmosphäre freudiger Erwartung wie vor einem klassischen Konzert. Ich bin bereit, mich mitreißen zu lassen.
Schon der Beginn ist vielversprechend: Seyran Ates, die mutige Frauenrechtlerin, dringt auf uns ein: Was für eine Gesellschaft wollen wir unseren Kindern hinterlassen? Was können wir für unser Friedens-Projekt tun?
Lars Eidinger liest in feierlicher Ernsthaftigkeit, die leider ein wenig aufgesetzt scheint, eine Sage und aus Stefan Zweigs “Die moralische Entgiftung Europas”:
Und Simon Strauss spricht mit tiefem Engagement. Er spricht echt, heißblütig aber schlüssig über Kultur. Dass sie zeitlos ist, Gefühle wecken, zu Visionen verhelfen und Freiheit bringen kann. Das gezündete Feuer im Herzen wird durch den musikalischen Auftritt einer erstaunlichen Sängerin namens WENDE (➡ hier zum Video) weiter entfacht. Chris Dercon, ehem. Kurator der Tate Modern und ehem. Intendant der Volksbühne in Berlin, versucht das Feuer erstaunlicher Weise zu löschen, indem er steif und fest die Ansicht vertritt, Deutschland sei seit 2006 kein Land der Ideen mehr und Europa brauche weniger Kultur denn kühle Köpfe in der Politik. Und so kam auch noch Feuer in die Gesprächskultur, in die Diskussion zwischen Dercon und Strauss (➡ hier zum Video).
Diese Veranstaltung setzt endlich um, was in der vorherigen bloß besprochen wurde: Sie zeigt, welche Kraft und Schönheit in der Kultur liegen kann. Wenn man ihr den Raum gibt. Wenn man sie ernst nimmt.
Sonntag der 3.6.18, 14 Uhr: Manifesto with Julian Rosefeldt / Film + Talk.
Jetzt werde ich eines meiner künstlerischen Vorbilder sehen: Julian Rosefeldt. Im Frühling vor zwei Jahren sah ich erstmals seine Filminstallation Manifesto im Hamburger Bahnhof und dann ein weiteres Mal. Ich habe selten ein Kunstwerk erlebt, welches mir so vollkommen erschien. Ich bin aufgeregt – immerhin besser als Müdigkeit! Ich komme zu spät und stürme zur verschlossenen Tür des Kinosaals. Nur ein etwas schlaksiger Mann steht davor und tippt etwas in sein Handy. Ich frage ihn, ob man hier noch rein dürfe. Überaus freundlich bedeutet er mir, ich dürfe. Später stellte sich heraus, es handelte sich um Rosefeldt selbst.
Ich sitze endlich und kann mich erneut dem Film widmen, der durch häufiges Schauen kein bisschen langweiliger wird. Die sagenhaft spielende Kate Blanchett, die die zahlreichen, völlig unterschiedlichen, subtil überzeichneten Rollen vollkommen ausfüllt, erinnert mich an die Kunst Cindy Shermans, welche in der Überzeichnung ihrer Charaktere allerdings weitaus extremer ist. Blanchett überzeugt so sehr, dass ich glaube, sie braucht die Schauspielerei, um kritische bis lächerliche menschliche Verhaltensweisen therapeutisch zu verarbeiten. In inspirierter Selbstreflexion vermute ich, dass mich diese Art Kunst u.a. deshalb so fasziniert:
Die Kunst ist, genau hinzuschauen und Menschliches zu sehen, anstatt es zu verstecken, selbst wenn, gerade wenn es peinlich ist.
Nun spricht Rosefeldt selbst. Er meint, man müsse sich als Mini-Institution im Kosmos sehen und fragen: Was ist meine Rolle/mein Beitrag? Er sagt:
16 Uhr: Presentation Eurolab
Wolfgang Tillmans, Rem Koolhaas und Stephan Petermann haben sich mit jungen Kreativen zusammengeschlossen, um an Marketingaktionen herumzudenken, welche das Europa-Projekt für die Allgemeinheit attraktiver machen soll.
Es werden Statistiken zum politischen Verhalten der Europäer und eine Menge Fakten aufgefahren.
Mit Aufschriften wie “No man is an island, no country by itself”, “We are not perfect but still a family” oder Tillmans Lieblingsspruch: “Your grandparents fought for it. Your children depend on it”.
Ich wundere mich über das Kalkül dieser Künstler und komme mir weltfremd und verträumt vor.
18:30: Ich sitze wieder etwas abgeturnt am Wasser, allein mit leicht engem und kaltem Herzen. Immerhin habe ich Gemüse und Hummus und ein frisch Gezapftes.
Ich überlege, ob ich beleidigt bin, weil meine Bewerbung fürs Eurolab erfolglos war, widerlege diese Gedanken aber. Die Veranstaltung kam mir so leidenschaftslos vor. Vielleicht bin ich manchmal zu unkonkret in meinen Träumen von einer besseren Zukunft. Doch ganz pragmatisch kann und will ich nicht sein! Vielleicht wenigstens pragmatischer, mich verstärkt mit aktuellen, konkreten Fakten befassen und daraus meine (künstlerischen) Schlüsse ziehen. Aber was bedeutet das schon “konkret” zu sein? Ja, das bedeutet auch, weltlich zu sein. Das bedeutet, mit der Welt genau so wie sie ist umzugehen, nichts zu verschleiern, nichts zu verschönern. Aber das ist ja furchtbar öde! Und wenig romantisch. Ich bezweifle, dass ich das will. Am Ende muss beides zusammenkommen:
Ich denke, so lebe ich bereits. Und bei Tillmans und Co ist mir das Verträumte zu kurz gekommen.
Nachts war ich mit namhaften Menschen unterwegs. Es sind realitätsnahe, konkrete Menschen, die sich in der Welt zu bewegen wissen. Mir war kalt.
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